Hintergrund: Neue Putenhaltungsverordnung bedroht Bauern

Regionale Puten vor dem Aus? 

 

Während in Schloss Kirchberg am 4. Mai über die Zukunft der Landwirtschaft diskutiert wurde, sorgen sich viele Putenhalter um ihre Zukunft. Der Grund: Eine neue Haltungsverordnung, die Putenbestände stark einschränken könnte – und ihre Existenz bedroht.

Am 3. Mai 1525 haben aufständische Bauern Burg Sulz bei Kirchberg zerstört, als sie für mehr Rechte und Freiheiten gegen den Adel kämpften. Im Bauernkrieg wurden die Aufstände vielerorts brutal niedergeschlagen. Fast auf den Tag genau und knapp 500 Jahre später, am 4. Mai 2023, haben vor den Toren von Schloss Kirchberg, in dessen Sichtweite Burg Sulz einst stand, erneut Landwirtinnen und Landwirte versammelt. Diesmal kämpfen sie nicht für ihre Grundrechte, sondern für eine zukunftsfähige Putenhaltung. Denn: Der aktuell vorliegende Entwurf einer neuen Putenhaltungsverordnung stellt sie vor große Ungewissheit. Besonders die Besatzdichte soll stark nach unten reglementiert werden. „Wir bekommen Zahlen vorgegeben, die wirtschaftlich keinen Sinn machen,“ bringt Sabine Preuß, Geschäftsführerin der Putenbrüterei Böcker aus Wallhausen, ihre Sorgen auf den Punkt. Sie fürchtet um die Zukunft ihrer Branche, wenn der vorliegende Entwurf der neuen Putenhaltungsverordnung so in die Praxis umgesetzt wird. Er beinhaltet unter anderem, dass die Tierzahlen in Putenställen um fast ein Drittel verkleinert werden – von aktuell 58 kg je Quadratmeter Stallfläche auf nur noch 40 kg.

 

Sabine Preuß befürchtet, dass sich dann der Preis für regionales Putenfleisch massiv verteuern wird, und der Verbraucher zum günstigeren Produkt aus dem Ausland greift. Dass der Preis oft die Nachfrage steuert, und heimische Pute als Ladenhüter enden könnte, bedarf nur wenig Spekulation. So ist es bereits im Nachbarland Österreich nach einer novellierten Putenhaltungsverordnung bei ähnlich reduzierten Bestandsgrößen passiert. Die Folge dort: Günstigeres Putenfleisch aus Ländern wie Italien werde gekauft, und das teurere österreichische Putenfleisch bleibt im Regal. Nach ihrer Prognose könnte der Selbstversorgungsgrad mit Putenfleisch in Deutschland von derzeit 80 % auf 50 % sinken, sollten viele Putenhalter aufgeben.

 

 

Özdemir will Tierwohl fördern – bewirkt er damit das Gegenteil? 

 

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir möchte damit mehr Tierwohl in der Putenhaltung auf den Weg bringen. Doch diese Rechnung gehe nicht auf, meinen viele der anwesenden Putenhalter. Zum Einen nehmen bereits über 70 % der deutschen Putenhalter an der Initiative Tierwohl teil, die auf freiwilliger Basis und gegen einen finanziellen Ausgleich die Tierbestände auf 53 kg je Stallquadratmeter reduzieren. Zum Anderen würde eine Reduzierung um weitere 13 kg wohl einen Bärendienst am Tierwohl leisten. Denn – da sind sich die demonstrierenden Putenbetriebe einig – die hohen Kosten für das Putenfleisch bei Umsetzung der neuen Haltungsverordnung werden die meisten Verbraucher nicht zahlen wollen. Stattdessen würden viele zum deutlich günstiger angebotenen Putenfleisch aus dem Ausland greifen - bei geringeren Tierwohlstandards, höheren CO2-Emissionen mit längeren Transportwegen. Und nicht zuletzt auch zum Nachteil der regionalen Landwirtschaft.

 

Dass die Putenhaltung in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern hohe Tierwohlstandards hat, weiß auch Tierarzt Dr. Henning Weiß aus Rot am See. „Wir haben hier eine gute Putenhaltung und wir tun den Tieren nichts Gutes, wenn wir sie in andere Länder verlagern,“ schildert er seine Arbeitserfahrungen aus vielen unterschiedlichen Putenbetrieben in Kirchberg. Der Tierarzt wünscht sich „dass die Gesellschaft sieht, wie es in unseren Putenställen ausschaut.“ Diesen Appell richtet er und seine Berufskollegen aus der Putenhaltung auch an den Bundeslandwirtschaftsminister, der währenddessen im Rittersaal des Schlosses mit 200 Gästen über eine nachhaltigere Landwirtschaft diskutiert.

 

Putenhalter sorgen sich um ihre Zukunft 

 

Auch der junge Putenmäster Simon Herrmann meint auf dem Podium am Kirchberger Frankenplatz: „Ich hätte gerne, dass die Gesellschaft sieht, wie es in unseren Putenställen ausschaut, und wie es in den Ställen der Nachbarländer ausschaut.“ Moderiert hatte die Demonstration der Putenhalter Giso Eben von Racknitz, der auf Schloss Laibach ebenfalls Puten mästet. Nach dem BTS-Standard (im sogenannten Schweizer-Modell). BTS steht für: Besonders tiergerechte Stallhaltung und bedeutet konkret: Weniger Besatzdichte, 20 % der Fläche als überdachte Auslauf und verschiedene Beschäftigungsmaterialien für die Puten. „Wir müssen dafür kämpfen, dass es nicht nur die Industrie macht, sondern dass es in bäuerlicher Hand bleibt,“ appelliert Giso Eben von Racknitz an seine Mitstreitenden in Kirchberg.

 

 

Auch der Familienbetrieb von Martin und Adelheid Maurer in Schwäbisch Hall mästet Puten – und das seit fast 50 Jahren. Durch die reduzierte Besatzdichte im Entwurf der neuen Putenhaltungsverordnung sehen sie ihre Weiterexistenz in der Putenhaltung gefährdet. Um in den Dialog mit Politikern zu treten und eine klare Botschaft für ihre Putenhaltung zu senden, waren sie am 4. Mai nach Kirchberg gekommen. Dass der Protest den Entwurf im Sinne von mehr Tierwohl und finanzieller Sicherheit für die Betriebe ändert, bleibt die Hoffnung der etwa 100 anwesenden Putenhalter. Die Putenhalter sind zu vielem bereit, aber es muss finanziell machbar bleiben,“ stellt Sabine Preuß gegen Ende der Kirchberger Demonstration klar.

 

Bauernverband steht hinter demonstrierenden Putenhaltern

 

Der Bauernverband Schwäbisch Hall – Hohenlohe – Rems e. V. bestärkt die Putenhalter in ihrem Protest. Der Verbandsvorsitzende Jürgen Maurer steht hinter den demonstrierenden Betrieben. Er meint: „Ich verstehe nicht, warum die Politik nicht einen Schritt auf die Bauern zugeht. Es hilft niemandem, zuletzt auch nicht den Puten, wenn in Deutschland mit unerfüllbaren Vorschriften ihre Haltung unmöglich gemacht und gleichzeitig in anderen Ländern unter schlechteren Bedingungen aufgestockt wird.“ Seiner Ansicht nach ist es nicht zu spät, einen Kompromiss zu finden: „Die Bauern stehen für Gespräche bereit – unter der Bedingung, dass einander zugehört wird. Die jahrelang andauernden Bauernproteste müssen der Politik endlich zu denken geben.“

 

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